11 August 2011

"Total irrational" Börse-Chef erklärt uns das Chaos

In Europa gab es zunächst Gewinne, aber die Erholung währte nur kurz.

Auf die Frage, wie es ihm geht, antwortet Heinrich Schaller, Chef der Wiener Börse, derzeit mit den Worten: „Den Umständen entsprechend.“ Wie die Umstände eigentlich sind, ist allerdings schwer zu sagen – denn an den Börsen herrscht das reine Chaos. Gestern sah es zunächst besser aus, der Wiener Leitindex ATX war zeitweise mehr als vier Prozent im Plus, der Frankfurter Dax war ebenfalls klar in der Gewinnzone.
Am frühen Nachmittag war der ATX schon nur mehr haarscharf im Plus. Und dann kam es richtig dicke. Die New Yorker Wall Street eröffnete schwach, der Dow Jones verlor binnen Kurzem knapp vier Prozent. Das riss die europäischen Märkte mit. Dem DAX konnte man beim Fallen richtiggehend zuschauen, am Ende stand ein Minus von 5,1 Prozent. In Wien rutschte der ATX 2,2 Prozent ab.

Börsechef Schaller: „Das ist alles total irrational“

ÖSTERREICH: Herr Schaller, angesichts der extremen Kurs-Achterbahn an den Börsen herrscht Ratlosigkeit. Gibt es für all das überhaupt echte Gründe?
Heinrich Schaller
: Das ist alles total irrational. Die Märkte sind von extremer Unsicherheit geprägt, die Leute sind hoch nervös. Was verständlich ist: Die internationale Politik zaudert und zögert viel zu viel und es werden nicht die richtigen Maßnahmen ergriffen beziehungsweise schnell umgesetzt. Das strafen die Märkte jetzt ab.

ÖSTERREICH: Jetzt verlieren Unternehmen, die wirtschaftlich sehr gut dastehen, an der Börse binnen Kurzem enorm an Wert. Zum Beispiel die voest ...

Schaller: Das ist im jetzigen Augenblick nicht gerechtfertigt durch Fakten aus den Firmen. Es verdeutlicht aber die Angst vor einer neuen Rezession. Und wenn diese kommen sollte, wären Unternehmen wie die voest wie schon 2008 hart getroffen. Diese Furcht spiegelt sich in den Kursen wider.

ÖSTERREICH: Teilen Sie die Rezessions-Angst?
Schaller: Ich halte sie für übertrieben, aber die Lawine ist – einmal losgetreten – schwer zu stoppen. Extreme Kursbewegungen rauf und runter wie am Dienstag und Mittwoch sind typisch für eine solche Zeit.

ÖSTERREICH: Was glauben Sie, wie es weitergeht?

Schaller: Prognosen zu stellen ist derzeit unmöglich, vor allem auf Tagessicht. Innerhalb von zwei Stunden kann es komplett drehen. Wie gesagt: Vernünftig ist das nicht zu erklären. Wir werden noch starke Kurssprünge sehen, auch wenn ich mir eine gewisse Stabilisierung erwarte.

Besonders hohe Verluste gab es bei Bankaktien
Besonders stark mussten Finanztitel Federn lassen. In Wien ging es Raiffeisen, VIG, Erste mit Verlusten von teils über fünf Prozent an den Kragen. Kein Vergleich aber zu dem, was sich in Frankreich und Italien abspielte. Die Aktien der Bank-Austria-Mutter UniCredit büßten zeitweise über 20 Prozent ein, notierten bei 99 Cent. Unter einen Euro war die UniCredit seit April 2009 nicht mehr abgestürzt. Die Papiere wurden vom Handel ausgesetzt – ebenso wie die anderer italienischer Großbanken.

Gerüchte über baldige Herabstufung Frankreichs
Die Lawine der Panikverkäufe erfasste auch deutsche Banken. Ganz arg erwischte es aber französische Titel: Société Générale brach zeitweise um 20 Prozent ein, Crédit Agricole und BNP Paribas verloren zweistellig. Der Grund: Gerüchte machen die Runde, dass eine Herabstufung der Kreditwürdigkeit Frankreichs durch die Ratingagenturen bevorsteht.

Erneut runtergestuft hat die Agentur Fitch gestern das Euroland Zypern – gleich um zwei Noten von „A“ auf „BBB“. Die Fülle schlechter Nachrichten und Gerüchte gepaart mit weiter wachsender Rezessionsangst heizt die Nervosität der Märkte an. Und bringt wieder eine Massenflucht ins krisenfeste Gold, das einen neuen Rekord bei fast 1.800 Dollar Feinunze erreichte.


(Quelle: oe24.at)