28 August 2011

Das Licht am Ende des Leidens: Das Leben von 38 Versuchsaffen in Freiheit

Sie wurden als Babys aus dem Dschungel geraubt, sie wurden in Laboren gehalten, sie wurden mit Aids und Hepatitisviren infiziert. Nach 30 Jahren dürfen Versuchsaffen zum ersten Mal Freiheit erleben. BamS war dabei.



Versuchs-Affen Das Leben in Freiheit
Nur wenige Sekunden nachdem sich die Eisentür zum Außengehege zur Seite schob, trauten sich die Schimpansen Helene, Bonnie und Daniel (von links) nach draußen. Seit 30 Jahren spüren die ehemaligen Laboraffen erstmals die Sonne auf ihrem Fell!



Freiheit ist etwas Wunderbares, aber wer sie nicht kennt, dem kann sie fast ein bisschen Angst machen. So ist das jedenfalls bei Susi. Susi ist ein Schimpansenweibchen; 37 Jahre alt, mit lieben traurigen Augen. Sie gilt als scheu und an diesem Vormittag bleckt sie erst einmal die Zähne, Susi fürchtet sich.

Sie blinzelt und legt den Kopf schief, als würde sie dem Ganzen nicht trauen, was da draußen auf sie wartet. Dann, nach kurzem Zögern, setzt Susi zum ersten Schritt an. Sie krümmt ihre Zehen und schiebt ihre Fell-Füße Stück für Stück nach vorn. „Oh, oh, oh“, macht Susi, und es klingt, als würde sie sich wundern – und irgendwie auch freuen.

Nach 35 Jahren in Käfigen und Innengehegen darf Susi heute zum ersten Mal unter freiem Himmel frische Luft atmen; sie darf die Sonne spüren, das Gras zwischen ihren Zehen, und sie darf klettern und laufen, so schnell sie mag. Susi ist ein ehemaliger Laboraffe. Sie lebt in einem Auffanglager für ausgediente Versuchsaffen, und heute geht es für sie und ihre Schimpansen-Freunde erstmals in das neu gebaute Außengehege: 2500 Quadratmeter groß, begrünt, mit freiem Blick.

Wir besuchen Susi im Safaripark im österreichischen Gänserndorf. 38 Laboraffen bekommen hier seit 2002 ihr Gnadenbrot. Die meisten von ihnen stammen aus den Laboren der österreichischen Pharmafirma Immuno AG; der Konzern nutzte Menschenaffen vor allem für die Hepatitis und Aidsforschung.

Über Jahre wurden die Tiere im Dienste der Forschung in Einzelzellen gehalten und mit den tödlichen Viren infiziert. Erst 1997 wurde die Immuno von dem amerikanischen Konzern Baxter übernommen, der die Versuche mit den Schimpansen einstellte. So landeten die ausgedienten Affen 2002 im Safaripark, aber dem ging 2004 das Geld aus. 2010 erklärte sich schließlich Gut Aiderbichl, eine Stiftung für Tiere in Not, bereit, die Zukunft der Affen zu sichern – und ihnen ein Außengehege zu schenken. Mehr als drei Millionen Euro kosten die elf neuen Anlagen, die gemeinschaftlich mit Baxter und Staatsgeldern finanziert werden. Nach und nach sollen die Affen nun in das Freigehege entlassen werden. Und als Erste sind heute Susi und ihre Familie dran, eine Gruppe von zehn traumatisierten Schimpansen.

Inzwischen hat sich Susi auf den Rasen vorgewagt. Sie ist mutig und hat wohl eine Ahnung von dem, was Freiheit heißt. 1976 wurde sie als Baby von Tierfängern aus dem Dschungel Sierra Leones geraubt; schließlich landete sie in einem Versuchs­labor für die Aidsforschung. Auf dem großen Foto rechts ist Susi schon nicht mehr zu sehen, sie zupft mittlerweile mit den Fingern das Gras ab. Ihr Affen-Freund David, 13, reckt die Brustmuskeln, folgt als Nächster, daneben winkt die 29-jährige Bonnie. Der BILD-am-SONNTAG-Fotograf drückt auf den Auslöser – und dokumentiert den Moment des Lichts am Ende des Leidens.
Nach einem kurzen Augenblick blicken die Affen, die sich als Erste vorgewagt haben, zurück in ihr Gehege. Sie kehren ein paar Schritte um, greifen denen, die noch im Schutz des Vertrauten sitzen, an die Schulter, lotsen sie in das Freigehege. Bei einigen Zuschauern, die diesen Moment hinter Panzerglasfenstern beobachten, fließen Tränen. Nur Xsara, die vor 12 Jahren im Versuchslabor geboren wurde, traut sich nicht nach draußen.

Die Affen springen nun im Schweinsgalopp über den Boden, klettern auf das Baumgerüst, trinken am Wasserbecken. Mittlerweile kreischen sie laut und: Sie umarmen sich. Immer wieder. „Nicht nur vor Glück, sie geben sich so auch gegenseitig Schutz“, sagt Pflegerin Renate Foidl und mahnt, die Gesten nicht zu vermenschlichen. Zu sehr sei der Homo sapiens verführt, seiner Verwandtschaft, mit der er bis zu 99,4 Prozent seiner Gene teilt, die eigenen Gefühle zuzuschreiben. „Aber die Affen freuen sich unwahrscheinlich. Das steht fest. Es ist klasse, ich habe so lange auf diesen Moment gewartet“, sagt Renate Foidl und wischt sich über die Augen.

Die 39-Jährige kann jede Geste, jede Mimik ihrer Tiere deuten. Seit 19 Jahren betreut sie die Schimpansen, darunter Maxi, der durch das Trauma der Gefangenschaft an Bulimie leidet und sein Obst immer wieder hoch würgt. Oder Fifi, der in einem Einzelgehege gehalten werden muss, weil er nicht nur sich, sondern auch seine Artgenossen verletzt. Und auch Pepi, der nicht richtig klettern kann, weil er es in den engen Laborkäfigen verlernt hat.

Renate Foidl war immer an ihrer Seite, auch als die Menschenaffen bei Immuno die Versuche über sich ergehen lassen mussten. Damals, 1992 war das, habe sie als Tierpfleger-Azubi mit ihrer Kollegin Annemarie Kuti einen „heiligen Schwur“ geleistet, wie sie sagt: „Wir haben den Tieren versprochen, sie niemals allein zu lassen.“
Als die Versuche schließlich eingestellt wurden, hat Renate Foidl ihr Versprechen gehalten und die Affen begleitet; auch durch die schwere Zeit, als nicht klar war, wohin mit den aus­gedienten Versuchsobjekten. Und als der Safaripark später pleite ging, blieb auch Renate Foidl Teil der Konkursmasse – bis jetzt am Ende doch noch alles gut zu werden scheint.

Lesen Sie hier weiter!(Quelle: bild.de/Jens Koch)