25 Juli 2011

Ungesehen Gutes tun

Charity-Events stehen nicht ganz zufällig im Geruch, dass sie oft den sich dort präsentierenden Promis mehr bringen, als dem Projekt – Ohne mediales Rundumgetöse sind VIPs mitunter sehr rasch unabkömmlich oder verhindert – Freilich: Nicht immer.

"Kaufts die Leiberln!" Ganz klar war nicht, wem genau Louie Austen das zurief. Schließlich war da niemand. Oder besser: niemand, der nicht ohnehin schon eines anhatte - oder es gerade abholte. Vergangenen Donnerstag war der bestuhlte Platz vor dem Wiener Rathaus eine weites, ödes, nasses und leeres Feld - und auch dahinter, also dort, wo die Sommerfressmeile beginnt, war nichts los: Das Wetter war bescheiden. In den besseren Momenten. In den anderen brauchten die Musiker, die da auf der Rathausplatzbühne unter der großen Leinwand auftraten, Helfer. Helfer mit Schirmen.

Dennoch stand Louie Austen da und sang. Zwischen den Songs forderte er dazu auf, "die Leiberln" zu kaufen. Niemand wäre dem Sänger im weißen Anzug böse gewesen, wenn er sein Programm radikal gekürzt hätte. Auf zwei Songs. Vielleicht ja sogar nur auf einen. Aber für Austen war das kein Thema. Nicht eine Sekunde: Es sei Ehrensache zu tun, was zu tun er versprochen hatte - nämlich beim Abschlussevent der Caritas-Aktion "Liebe beginnt mit" aufzutreten. Ohne Gage. Charity eben: Austen war Teil des musikalischen Rahmens rund um das, was ehrenamtliche und professionelle Helfer und Caritas-Direktor Michael Landau über die Hungerkatastrophe in Ostafrika und die Effizienz und den Sinn von Hilfe erzählten.

Herbsteinbruch

Es war der erste Tag des regnerischen Herbsteinbruches im Juli. Sogar hinten, bei der Fressmeile und bis zum Burgtheater, herrschte gähnende Leere: Abgesehen von den jeweils nicht gerade auf der Bühne Aktiven, standen da ein paar Handvoll Caritas-Mitarbeiter und Freunde in der ersten Reihe. Aber es war nachvollziehbar, dass wirklich niemand eigens gekommen (oder bloß zufällig vorbeigeschneit und dann picken geblieben) war, um Austen, Mika Vember, das Trio Brasentina oder Renate Horstein zu hören. Und niemand hätte es den Künstlern verübeln können, wenn sie sich gleich wieder vertschüsst hätten: Musikinstrumente - egal ob elektronisch, aus Holz oder mit Saiten bespannt - mögen Feuchtigkeit nur sehr bedingt.
Doch die Musiker blieben. Und spielten. So, als wäre jeder Sessel besetzt und der Raum unmittelbar vor der Bühne voll. Mehr noch: Sie standen selbst im Regen - und applaudierten. Nicht der eigenen Kollegenschaft, sondern denen, denen der Schritt auf die Bühne weit mehr Mut abverlangte: Nhut La Hong hatte für die Caritas T-Shirts ("die Leiberln") entworfen -
und die wurden in einer kleinen Modeschau präsentiert. Teils von Freiwilligen der Young Caritas, teils von Jugendlichen aus Caritas-Einrichtungen: Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und Behinderte. Für die Kids war das - ungeachtet des fehlenden Publikums - ein großes Ding. Umso glücklicher waren sie über den Applaus.

Leiberl gegen Spende

Die "Leiberln" hatte es davor schon seit ein paar Wochen gegeben: Gegen eine Spende von 25 Euro konnte man sie erwerben - und um sie im Web oder auf Facebook zu promoten, hatten sich Gesichter aus der Riege der "üblichen VIP-Verdächtigen" in ihnen fotografieren lassen. Die klassische PR-Charity-Symbiose: Tut nicht weh, kostet kaum Zeit - und schiebt nicht nur das Projekt an, sondern auch das eigene Image und die eigene Bekanntheit. Und längst ist nicht immer klar, wem das im Endeffekt mehr nutzt: Das bekannte Charity-Dilemma eben.
Doch am nasskaltwindigen Donnerstagfrühabend waren es eben nicht bloß Lippen- und Fotobekenntnisse: La Hong ließ es sich nicht nehmen, die T-Shirts vor Ort noch mit Glitzersteinen aufzupimpen, zurecht zu zupfen oder zu signieren. Das Topmodel Anna Huber machte die Kids catwalkreif, choreografierte und übte, lenkte sie von ihrer Nervosität ab, führte ein paar besonders Schüchterne an der Hand auf und über den Laufsteg - und stand beim Finale ganz am Rand: Centerstage gehörte den Kids - und sonst niemandem. Auch Holger Thor - als Miss Candy ja das ziemliche Gegenteil von Dezenz, Mauerblümchen und Understatement - kam, obwohl er sich bloß als "vielleicht"-dabei angekündigt hatte, sah und half Huber und den Model-Newbies.

Ungesehen

Obwohl da keiner war, dem das aufgefallen wäre: Nicht nur, dass da kein Publikum war - auch die Presse hatte großteils ausgelassen. Es gab wichtigere Ereignisse an diesem Abend - und ohne Garantie, dass es da ein paar Wohltätigkeits-Baronessen oder zumindest Köpfe der üblichen ViP-Entourage zu zeigen gibt, schickt keine Redaktion Mitarbeiter in den Regen: Ein paar Fotografen, die meisten aus dem Caritas-Umfeld. Ein Kamerateam - vom Wiener Kleinstsender w24: Der Event fand in den "regulären" Medien keinen Niederschlag. Keine Fotos, keine Bilder, keine Interviews. Nichts.
Angesichts des Wetters hatten die Leute von der Caritas hatten das vorhergesehen. Und überlegt, das Programm zu kürzen, zu straffen - und in die Volkshalle des Rathauses zu verlegen: Dort hätte es nicht einmal Passanten gegeben - aber es wäre weniger nass und kalt gewesen. Man könne, hatte es zwischen den Zeilen geheißen, doch nicht verlangen, dass die Künstler bei diesem Wetter ... und so weiter. Louie Austen hatte bloß den Kopf geschüttelt. Dann nahm er das Mikro, stieg auf die Bühne, rief "kaufts die Leiberln" - und sang. So, als wäre der Platz bis auf den letzten Platz gefüllt: "Das gehört sich einfach. Die hören ja auch nicht auf zu helfen, wenn keiner zuschaut."


(Quelle:derstandard.at)