17 Juli 2011

"Nackte Menschen schauen einander zuerst in die Augen"

Sieben Millionen Deutsche lassen im Urlaub die Hüllen fallen. Warum es nichts mit Sex zu tun hat und welches Utensil auch ein Nackter immer dabei hat, erklärt Kurt Fischer, Präsident des deutschen FKK-Verbandes, Birgit Baumann.











Standard: Warum ziehen sich die Deutschen im Urlaub so gerne aus?

Fischer: Deutschland ist die Wiege der FKK-Bewegung. Natürlich steckt eine Philosophie dahinter: Kleidung zeichnet Berufsstände aus, man sieht auch, wie viel jemand verdient. Aber nackt sind alle Menschen gleich. Und praktisch ist es außerdem auch.

Standard: Sie meinen: Keine nassen, rutschenden Badehosen?

Fischer: Genau. Da rutscht und kneift nichts, es ist herrlich Wind und Sonne am ganzen Körper zu spüren und sich im Einklang mit der Natur zu bewegen.

Standard: Wie kamen Sie persönlich zur FKK-Bewegung?

Fischer: In den Sechzigerjahren wollte ich mit meiner damaligen Freundin in Hannover in die Sauna gehen. Gemischte Saunen gab es damals noch nicht, alles war strikt
nach Männlein und Weiblein getrennt. Aber es gab eine Sauna auf einem FKK-Gelände, da konnten wir gemeinsam hin.

Standard: Wie war die Premiere?

Fischer: Ich war nervös, dachte mir: Die werden mich alle anstarren, wenn ich nackt daherkomme. Aber kein Mensch hat geschaut. Dann spielten die Nackten Volleyball, und wir sahen zu. Die fragten ganz locker, ob wir mitspielen wollen. Dass hier alle nackt waren, war überhaupt kein Thema.

Standard: Mal ehrlich, Herr Fischer, guckt man nicht doch ein bisschen?

Fischer: Nackte Menschen schauen einander zuerst in die Augen. Wer gänzlich unbekleidet ist, ist außerdem viel weniger interessant. Ein knapper Slip oder Stringtanga ist tatsächlich ein sexueller Anreiz, weil er etwas verbergen will. Unser Nacktsein hat nichts mit Sex zu tun. Da sind wir in unseren 150 Vereinen in ganz Deutschland auch sehr rigoros.

Standard: Was heißt das?

Fischer: Sagen wir so: Wenn ein Mann auf dem FKK-
Gelände Gefühle bekommt, dann soll er ins kalte Wasser gehen oder sich sonst diskret etwas einfallen lassen. Wir bieten dafür keine Bühne, da gibt es eine deutliche Grenze. Unsere FKK-Anlagen werden zumeist von Familien genutzt, das hat, wie manche meinen, mit Swingerclub gar nichts zu tun.

Standard: Viele Jugendliche wollen sich in der Pubertät jedoch nicht so gerne nackt zeigen. Wie gehen Sie damit um?

Fischer: Dafür haben wir volles Verständnis. So eine Phase hat jeder, das bekommt man als Erwachsener ja mit. Dann können sich die Jungen auch was überziehen, und wir lassen sie ganz in Ruhe. Würden sie sich aber absichtlich bekleidet unter die Nackten am FKK-Strand begeben, bloß um zu provozieren, dann würden wir das allerdings nicht tolerieren.

Standard: Bei manchen Leuten könnte man ja boshaft sagen: Es ist besser, wenn sie bekleidet bleiben.

Fischer: Unsinn. Schauen Sie sich doch in der Welt um. Es gibt nur ganz wenige Menschen mit Idealfigur. Die meisten sind zu dick, alle kriegen im Alter Falten. Das ist ganz natürlich. Wir verstecken unseren Alterungsprozess nicht. Völlig textilfrei sind aber übrigens auch wir nie unterwegs.

Standard: Wie das?

Fischer: Zur Grundausstattung gehört ein Handtuch. Das hat man immer dabei, man setzt sich ja nicht nackt auf einen Ledersessel oder sonst irgendwo hin. FKK-Anfänger vergessen das manchmal.

Standard: Würden Sie selbst auch anderswo als am FKK-Gelände gerne nackt sein?

Fischer: Um Gottes willen, nein. Ich hätte keine Lust, nackt am Wiener Stephansplatz herumzuspazieren. Wir wollen keine Konfrontation und keine Provokation, sondern einfach mit Gleichgesinnten die Natur genießen.


(Quelle: derstandard.at)